Studiengebühren

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Studiengebühren 2016/17

Eine kurze Geschichte der Studiengebühren in Deutschland

Über Jahrhunderte war das deutsche Universitätswesen zutiefst elitär – eine Welt für sich. Damit war auch klar, dass dieses Privileg der kleinen Oberschicht auch nicht öffentlich, sondern eben durch Studiengebühren finanziert wurde. So schrieb etwa Karl Marx 1875: „Wenn […] höhere Unterrichtsanstalten unentgeltlich sind, so heißt das faktisch nur, den höheren Klassen ihre Erziehungskosten aus dem allgemeinen Steuersäckel zu bestreiten.“ Daran, dass die FDP im 21. Jahrhundert, der eher selten eine Nähe zum Marxismus unterstellt wird, eine identische Argumentation zur Verteidigung der Studiengebühren vorbrachte, sieht man, wie sehr sich die Bildungslandschaft inzwischen geändert hat. Die nächsten hundert Jahre lang sollten die Universitäten jedoch erstmal weiterhin Hort einer kleinen, reichen Elite bleiben. Die Studiengebühren überlebten die Republikgründungen 1919 und 1949 und gerieten in der Studierendenbewegung 1968 erstmals in die Kritik.

Im Laufe der 1970er Jahre erkannten dann auch langsam die Regierungen und Parlamente, dass es Zeit würde für eine soziale Öffnung der Hochschulen. In diesem Zug wurden die damaligen Studiengebühren abgeschafft. Die Bundesrepublik ratifizierte 1973 schließlich den internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, kurz UN-Sozialpakt. Darin befindet sich auch der Satz „Die Vertragsstaaten erkennen an, dass im Hinblick auf die volle Verwirklichung [des Rechts auf Bildung] der Hochschulunterricht auf jede geeignete Weise, insbesondere durch allmähliche Einführung der Unentgeltlichkeit, jedermann gleichermaßen entsprechend seinen Fähigkeiten zugänglich gemacht werden muss.“

Erst Mitte der 1990er Jahren fanden Studiengebühren wieder ihren Weg in die öffentliche Debatte. Damals herrschte noch ein breiter gesellschaftlicher Wunsch nach freiem Bildungszugang, der erst durch massive Propagandamaßnahmen wirtschaftsnaher Organisationen wie dem „Centrum für Hochschulentwicklung“ (CHE) oder der „Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft“ (INSM) gebrochen wurde. Mehrere CDU-geführte Bundesländer liebäugelten mit der Wiedereinführung von Studiengebühren. Baden-Württemberg machte den Anfang und beschloss 1997 mit den Stimmen von CDU, FDP und Republikanern sogenannte Langzeitstudiengebühren (1000 DM). Wenig später folgten die sogenannten Rückmeldegebühren (100 DM), die erst 2002 nach langem Rechtsstreit vom Bundesverfassungsgericht für nicht verfassungsmäßig erklärt wurden. Sie wurden daraufhin in „Verwaltungskostenbeitrag“ umbenannt und bestehen bis heute weiter.

Von studentischer Seite wurde damals versucht, ein bundesweites Verbot von Studiengebühren durchzusetzen. Zu diesem Zweck wurde 1999 das Aktionsbündnis gegen Studiengebühren (ABS) gegründet. Die rot-grüne Bundesregierung erfüllte nur teilweise ihre Versprechen an die Studierenden und erließ ein Verbot von Studiengebühren ab dem ersten Semester, ließ aber gleichzeitig andere Gebühren wie Verwaltungsgebühren, Zweit- oder Langzeitstudiengebühren bewusst zu. Genau diese wurden in den folgenden Jahren von rot-grün-schwarz-gelb regierten Ländern eingeführt. Einzig gebührenfrei blieben Berlin, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein. Doch auch diese Schlupflöcher waren manchen Ländern zu klein. Am 16. Januar 2005 hob das Bundesverfassungsgericht das bundesweite Studiengebührenverbot nach Klage mehrerer Bundesländer – darunter Baden-Württemberg – auf. Die Presse sprach vom „schwärzesten Tag“ für die Studierenden.

Dieses Urteil nutzten sieben Bundesländer, um Studiengebühren von bis zu 500€ einzuführen, wovon bis zu 70% der Studierenden in Deutschland betroffen waren. Die Höhe der Gebühren und die Umstände, unter denen ein Student zur Zahlung verpflichtet war, fiel höchst unterschiedlich aus und trieb bisweilen abenteuerliche Blüten: Ein Nachweis von einem Intelligenzquotienten über 130 reichte an der Universität Freiburg bis WS 2007/08 aus, um sich von der Zahlung befreien zu lassen. Auch Behinderung, studierende Geschwister oder ein ausländischer Pass konnte zur Befreiung reichen. In Baden-Württemberg waren im letzten Jahr der Beitragspflich 44% der Studenten von der Zahlung befreit.

Nach Kritik quer durch die Gesellschaft, wenig sichtbaren Erfolgen und politischen Verschiebungen auf Landesebene fingen die Bundesländer nach und nach an, Studiengebühren wieder abzuschaffen, zuletzt in Niedersachsen zum WS 2014/15. In Baden-Württemberg ist das Erststudium an einer staatlichen Hochschule nach einer Reform der grün-roten Regierung seit WS 2011/12 gebührenfrei. Um Forderungen nach Erhalt des Bildungsniveaus gerecht zu werden, führte sie im gleichen Zug die Qualitätssicherungsmittel (QSM) ein, die mit 280€ pro Student und Semester genau die wegfallenden 500€ von den 56% der tatsächlich zu Zahlung der Studiengebühren verpflichteten Studenten ausglichen. Im Gegensatz zu den Studiengebühren stammte das Geld jedoch aus dem Landeshaushalt und nicht aus den Taschen der Studenten. Die QSM gibt es nach Abschluss des Hochschulfinanzierungsvertrags "Perspektive 2020" mindestens noch bis 2020 und beweisen, dass gute Hochschullehre eine Frage des Willens ist, weil sie offensichtlich auch ohne Gebühren bezahlt werden kann.

Warum Studiengebühren eine schlechte Idee sind

In Verruf geratene und wahrscheinlich deswegen totgesagte politische Grundhaltungen leben länger und deswegen ist der staatliche Rückzug aus der Finanzierung zugunsten individueller Abrechnung beim Studium  eine Forderung, die einfach nicht aus dem öffentlichen Diskurs verschwinden mag. Befürwortern dieser Gebühren sind zwei Dinge besonders wichtig: Die Qualität der Lehre, die von einer kräftigen Gebührenspritze ja nur profitieren kann und  dadurch (bei den kühneren Visionären) vielleicht irgendwann mit angelsächsischem Niveau vergleichbar ist, und die Gerechtigkeit für jene, die nicht studieren. Als Bild muss die "Krankenschwester, die dem Ärztesohn das Studium mit ihren Steuern finanziert", herhalten. Ob dieses Beispiel angesichts von 25.000 € Bruttojahreseinkommen der Krankenschwester und damit weniger als 15% Einkommensteuersatz sinnvoll ist, ist egal, denn es geht ums Prinzip. Auch wenn beide Mechanismen prinzipiell gültige Argumente sind, halten sie einem Realitätscheck nicht stand. Der Reihe nach:

Moderate Studiengebühren katapultieren eine Universität nicht nach vorne

Das MIT, mit dem sich das KIT gerne vergleicht, gab im Jahr 2014 abzüglich Drittmitteln 1,49 Mrd. $ für Lehre und Forschung aus. Daraus werden etwa 1.050 wissenschaftliche Mitarbeiter für etwa 11.000 Studenten bezahlt. Das KIT bezog 2012 inklusive Drittmitteln von Bund, Land und EU etwa 660 Mio. € oder 730 Mio. $ und gab dieses Geld für Lehre und Forschung für 24.000 Studenten und etwa 6.000 Angestellte in Lehre und Forschung aus. Damit das KIT (pro Student) das gleiche Geld wie das MIT zur Verfügung hat, müsste jeder Student am KIT pro Semester mehr als 14.000 € Studiengebühren bezahlen - absurd. Da aber gerade die teuren Kennzahlen wie Betreuungsverhältnis, technische Ausstattung und Rennomee der Professoren den Ausschlag in Rankings geben, wird eine deutsche Uni mit 500€ pro Semester und Student nicht in andere Ligen vordringen. Für den Universitätsbereich des KITs, also KIT ohne das ehemalige Forschungszentrum, lag der Anteil der Gesamtfinanzierung durch Studiengebühren, als es diese noch gab, unter 5%. Für Landespolitiker auf der Suche nach Kitt für Löcher im Haushalt ein gefundenes Fressen, für alle anderen wohl kaum ein spürbarer Unterschied.

Studiengebühren stellen keine Gerechtigkeit her

Das obige Beispiel von Krankenschwester und Arzt ist in Deutschland dank überdurchschnittliche Bildungsungerechtigkeit sicher eher die Regel als die Ausnahme: Akademikerkinder studieren dreimal so häufig wie Arbeiterkinder (77% zu 23%). Deswegen Studiengebühren zu fordern ist aber nichts anderes als die Kapitulation vor diesem seit Jahrzehnten anhaltenden Zustand. Mit dem gleichen Argument könnte man auch den Schülerrabatt in Museen streichen, anstatt sich darum zu kümmern, wie man Kinder aus der Arbeiterschicht ins Museum bekommt. Zudem tragen Studiengebühren zur Zementierung dieser Ungleichheit bei. Wer schickt seine Kinder wohl eher auf eine gebührenbehaftete Bildungseinrichtung: Die Ärztefamilie mit dickem finanziellem Polster oder die Krankenschwester, die wenig Geld für das Studium des Nachwuchses zur Seite legen kann?